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Fest der Menschlichkeit

Ein liebenswürdiger und geschätzter Kollege hat diesen "Aufmacher" erfunden, Michael Rath, er stammt nicht aus meinem Gehirn, scheint mir aber, worüber ich im Folgenden berichten möchte, äußerst passend:

Eine ältere Dame, keine Hochaltrige, aber eine Seniorin, mit signifikant ausgeprägter Ängstlichkeit und von ihr selbst massiv angefeindeter und abgelehnter psychiatrischer Diagnose, paranoid zu sein, muss sich an beiden Augen einer Star-OP unterziehen.

Zwei Voruntersuchungstermine im Spital/ Krankenhaus führen zu der Einschätzung bei untersuchenden Ärzten, die Operation sei ausschließlich in Vollnarkose durchzuführen. Frau X. bildet sich ihren eigenen Willen und ich schließe mich als Gerontologe und jemand, der sich für die Inklusion von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen einsetzt an: Sie will nur ein Auge zuerst operiert haben, und mit Lokalanästhesie.

Gemeinsam beschließen wir diesen Wunsch zu vertreten, andernfalls unser Glück "mit Null beginnend" in einem anderen Spital zu versuchen...

Ich bringe das Anliegen telefonisch ein und finde unter den administrativen KundenbetreuerInnen der Ambulanz eine Person, die sich freiwillig für das Anliegen zuständig macht und persönlich dran bleibt und mir persönlich Ansprechpartnerin bleibt; dies überrascht mich positiv und ist sehr erfreulich.

Nach einigen Telefonaten erhalten wir einen Untersuchungstermin, auch um dieses Anliegen vor einer ÄrztIn vorbringen zu können.

Die nächste positive Überraschung zeigt sich bei nämlicher Untersuchung im Spital:

Wir werden auf die stationäre Aufnahme zur Untersuchung geschickt: dort gibt es eine stellvertretende Stationsschwester, welche die "Voranamnese mit Frau X. durchführt (auch weil keine Ärztin gerade Zeit hat/ oder war das nur ein Vorwand?) vielleicht rückblickend ein Glück, denn irgendwie schließen die beiden Frauen einander ins Herz - um nicht zu übertreiben wenigstens können die beiden miteinander schnell...in Ermangelung eines Arztes der Zeit hat/ einer ÄrztIn  werden wir doch auf die Ambulanz geschickt.

Auf die Rückseite eines "Zetterls", das auf die Formulare die Frau X. zur Untersuchung mitbekommt, schreibt die stv Stationschwester eine "Geheimbotschaft": soweit ich mitbekomme steht darauf, dass Frau X. in Zusammenhang mit einer Narkose "Vergewaltigungsängste" habe... - eine Frau zu Frau Botschaft

Nach langem Warten wird Frau X. dort ausführlicher von einer weiblichen Ärztin von der Station untersucht. Wie es das Glück oder der Plan will wird Frau X. von einer jungen Ärztin untersucht welche - obwohl während der Untersuchung eine Vertreterin der „nur-unter-Narkose-weil unzurechnungsfähig-Partei“ ins Untersuchungszimmer tritt mit dem Einwand, der Dr. ..... habe bereits entschieden, dass in diesem "Fall" nur mit Narkose zu operieren sei - sich rasch entschließt, dem Anliegen von Frau X. in Lokalanästhesie operiert zu werden stattzugeben!!! Irgendwie kann ich es noch heute kaum glauben.

Nun nehmen die Dinge "ihren Lauf": Frau X. wird von einem jungen Arzt untersucht und für die OP instruiert. Dieser ist anfänglich recht barsch - nach einem kurzen Wortwechsel zwischen ihm und mir diesbzgl. wird er freundlicher und freundlicher und untersucht und instruiert Frau X. mit großer Wertschätzung und auf Augenhöhe...

Nach nochmaliger Ermutigung und Beruhigung im zweiten Gespräch durch die Stv Stationschw für Frau X. verlassen wir hochzufrieden das Spital.

Einige Tage später folgt der große Tag der ersten OP: vor Acht Uhr finden wir uns im Spital ein: zweimal heißt es für Frau G. und mich sehr lange warten an jenem Tag. Das ist für uns beide zwar recht anstrengend - wir sind von 07:45 bis 14h auf diese Art im Spital und hätten noch länger gewartet nach der OP wenn ich mir nicht die ausnahmsweise Erlaubnis geholt hätte auch ohne Entlassungsbrief Frau X. entführen zu dürfen, da Sie morgen ohnehin nochmal kommt zur Nachuntersuchung.

Eine weitere tragende Rolle aus meiner Sicht bei diesem "Fest der Menschlichkeit" hat der Krankenträger der Frau X. zur OP bringt und wieder auf die Station bringt nach der OP. Wieder kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier vielleicht die Stv Frau Stationsschwester Regie führt: Ist es denn Standard, dass der Krankenträger mit im OP-Saal bleibt und die Klientin wieder persönlich zurückbringt. Als Standard klingt das fast zu schön um wahr zu sein. Auch er war stets liebenswürdig und wertschätzend und freundlich, sowie höchst geduldig mit Frau X., die ganze Zeit über.

 

Bei den - aus meiner Sicht - RegisseurInnen von diesem Fest der Menschlichkeit haben wir uns mit DM-Gutscheinen im Wert von je € 15 bedankt. Es was mir innerlich nicht möglich Bonbonnieren zu schenken, wie man es aus dem Sachwalterbüro vorgeschlagen hat, aber das ist ca. der Wert einer größeren Bonboniere bei Aida... irgendwie auch ungerecht, weil zwei Hauptrollen auf dieser Ebene unbedankt blieben, der Ärztin habe ich allerdings mündlich nach der OP rückgemeldet und gedankt.

 

die Moral der Geschicht´ (dreierlei von vielen Möglichen Aspekten):

a) für psychisch Kranke Menschensind Erfolgserlebnisse besonders wertvoll und potentiell Heilung bringend, dies war definiv eines für Frau X.

b) möglich, dass es im Spital Vorbildwirkung entfaltet, wenn ein Mensch mit psychischer Beeinträchtigung solches Vorvertrauen erhält und dieses auch vollstens rechtfertigt. (was vielleicht das unangebrachte Vorurteil entkräften hilft, psychisch kranke Menschen seien unberechenbar. Das sind Sie keineswegs; sie sind partiell in ihrer Lebensbewältigung beeinträchtigt, weil "anders". Sie sind aber berechenbar darin, was ihnen schwerfällt und wo Sie aber auch im Gegensatz dazu genauso wie "Normale" ganz normal oder sogar besser "funktionieren" als "Normale".

c) der Kapitalismus ist durchwegs zweigesichtig / Janusköpfig: Sozialstaat in den entwickelten Weltregionen wird finanziert mit Ausbeutung in anderen Weltregionen. Als Minimodell mag dafür auch die 24-Stundebetreuung als Beispiel gelten - mit allen ihren Für und Wider. Jetzt zum Punkt: Die zweckrationale, den einzelnen "versachlichenden" Dynamik des Kapitalismus tendiert auch dazu, über die Bedürfnisse / Eigenheiten und die Menschwürde des Individuums "drüberzuwalzen" wenn es in die Mühle des Spitals- und Pflegeheimbetriebs gerät. Wie schön wenn es eine Art "Guerillatruppe der Menschlichkeit" innerhalb des Spitalsorganismus gibt, die entgegen der Zweckrationalität, bei der das System zweckrationelle Effizienz über die Würde der einzelnen Patientin stellt negiert bzw. sogar aktiv zuwiderhandelt. Das freut mich und rührt mich: kaum wage ich zu hoffen dieses Beispiel könnte Schule machen, ich lasse mich gern darin positiv überraschen: Vorerst ist es für mich ein berührendes Moment von menschlicher Freiheit im positiven und sozialer Intelligenz von der Art wie es all überall an dunklen Orten und Zeiten aufblitzt. Sozusagen die Schindlers und Wallenbergs der Zivilgesellschaft und von heute...

 

 

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